In Indien ist Masala Chai ein Gefühl, eine Einladung, ein Satzzeichen im Lebensrhythmus. Er wird in der Morgendämmerung und in der Abenddämmerung ausgeschenkt, zwischen Kollegen am Straßenrand getrunken, Gästen ehrfürchtig angeboten und während des Monsuns langsam geschlürft, wenn sich die Welt in ein samtiges Grau verwandelt. Für Chai ist immer Zeit… und wenn nicht, wird er eben gemacht.
Aber die Geschichte von Masala Chai beginnt nicht in Indien. Die Briten haben vielleicht den Tee eingeführt, aber der Chai, wie wir ihn kennen – milchig, gewürzt, unverschämt kühn -, ist eine rein indische Erfindung. Die koloniale Vornehmheit wich dem smarten Flair der Straße. Irgendwo zwischen dem Messingkessel und dem Kulhad geschah die Alchemie.
Im Grunde genommen ist Masala Chai ein rebellisches Gebräu. Er besteht aus einem Strudel aus schwarzen Teeblättern und Vollmilch, die mit einer Vielzahl von Gewürzen wie z.B. zerstoßenem Ingwer, zerstoßenem Kardamom, einem Hauch von Zimt, einem Hauch von Nelken, manchmal Pfeffer und manchmal Tulsi versetzt wird. Jeder Straßenhändler schwört auf seine Mischung, und jeder Haushalt hütet sein Rezept wie ein Erbstück. Manche mögen ihn stark genug, um die Ahnen zu wecken, andere bevorzugen ihn sanft, mit nur einem Hauch von Schärfe.
Und dann ist da noch die Leistung. Das Aufkochen, das Aufschäumen, das dramatische Ziehen – Chai wird nicht geschüttet, sondern in der Luft umgewälzt, hin und her zwischen den Gefäßen, bis er genau die richtige Nuance an Gemütlichkeit hat. Das ist Theater mit ein bisschen Ellenbogenschmalz.
In der heutigen Welt des Pour-over und der kalten Brühgetränke behauptet sich Masala Chai… stolz und altmodisch, aber unendlich anpassungsfähig. Er wurde in Michelin-Sterne-Küchen dekonstruiert, für Boutiquen abgefüllt und in den sozialen Medien mit Hashtags versehen. Aber die Seele des Chai bleibt erdig, egalitär und absolut süchtig machend.
Ein Schluck, und man ist süchtig. Denn Chai ist nicht nur das, was in der Tasse ist. Es ist der Klatsch, den er hervorruft, das Schweigen, das er erweicht, die Nostalgie, die er transportiert, genau wie Indien, komplex, chaotisch, tröstlich und mit genau der richtigen Menge an Gewürzen.